Träume Programmheft

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Träume sind universell. Alle Menschen und sogar Tiere träumen. Träume sind etwas Geistiges, doch sind sie wie Blumen oder Bäume organische Gebilde der Natur: sie sind nicht menschengemacht, sondern entstehen aus sich selbst heraus: es ist die Sprache der Natur.

Träume sind nicht nur Schäume, denn die Natur spricht durchaus sinnvoll mit uns, wenn wir träumen. Die Performance versucht, diese Sprache zugänglich und verständlich zu machen. Ein Traum mag ein Buch mit sieben Siegeln sein, doch diese lassen sich öffnen.   

Dabei wird ein weiter Bogen geschlagen: vom Taoismus, über die moderne Gehirnforschung bis hin zur Astrophysik: es gibt Dimensionen, die, wie der Traum, Zeit und Raum relativieren: ein Wissen, das die älteste Kultur der Menschheit, die Aborigines Australiens, als Traumzeit bezeichnet.

Ein Drittel des Lebens

Wir schlafen und träumen etwa ein Drittel unseres Lebens. Während dieser Lebenszeit erleben wir andere Dinge als im Wachzustand. Tiere können sprechen, Tote sind lebendig, wir können fliegen, Personen verwandeln sich urplötzlich. Es ist eine Märchenwelt.

Auch die Kategorien für Zeit und Raum sind völlig anders: wir sind auf einmal wieder Kinder oder leben zu ganz anderen Zeiten. Selbst der Raum wird ohne weiteres überbrückt oder verwandelt sich ganz einfach. Im Traum gelten andere Gesetze für Tod, Zeit und Raum. Es ist eine Wirklichkeit mit einer anderen Sprache.

Märchen, Mythen, Träume

Die Symbolsprache ist eine Sprache, in der innere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken so ausgedrückt werden, als ob es sich um sinnliche Wahrnehmungen, um Ereignisse in der Außenwelt handelte. Es ist eine Sprache, die eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, die wir tagsüber sprechen. Die Symbolsprache hat eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation.

Es ist die einzige universale Sprache, welche die Menschheit je entwickelt hat und die für alle Kulturen im Verlauf der Geschichte die gleiche ist. Es ist eine Sprache sozusagen mit eigener Grammatik und Syntax, eine Sprache, die man verstehen muss, wenn man die Bedeutung von Mythen, Märchen und Träumen verstehen will. Aber der moderne Mensch hat diese Sprache vergessen, nicht wenn er schläft, aber wenn er wach ist.“

(Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume)


Im Kosmos der Träume

Kosmos heißt Ordnung. Träume erscheinen chaotisch. Doch gibt es Muster, die darauf schließen lassen, dass Träume sehr wohl strukturiert sind. Sie haben eine innere Ordnung: der Kosmos der Träume.

Der rote Faden eines Traumes wird durch neuronale Verknüpfungen zum „Stoff, aus dem die Träume sind“. Träume erzählen ihre Geschichten durch Assoziationen. Die Performance geht diesem Kosmos nach, indem sie auf gleiche Weise assoziativen Verknüpfungen folgt und so an einem Stoff webt. 

Traumsprache

Sprache eignet sich für assoziative Verknüpfungen besonders gut. Deshalb spielen Träume oft mit Worten und Redewendungen, um Bilder zu kreieren. Sie nehmen Sprache wortwörtlich.

In Träumen geht es um Gefühle. Es lohnt sich, bei einem Traumbild danach zu fragen, ob ihm vielleicht eine Redewendung zugrundeliegt. Kommt im Traum z.B. eine Wurst vor, könnte das sowohl ein Gefühl von Gleichgültigkeit ausdrücken, „Das ist mir Wurst!“, als auch eines von Dringlichkeit: „Jetzt geht es um die Wurst!“ Weil das völlig verschiedene Emotionen sind, kann nur der / die Träumende spüren, worum es hier gerade geht.

Eigentlich ist es ein Wunder, wie kreativ Träume ihre Bilder erschaffen. Welche schöpferische Intelligenz bringt das hervor? Es ist nicht das Ego. Es geschieht von selbst. 

„Manche Menschen sind fassungslos, wenn sie das Vermögen der träumenden Seele entdecken, derartige Wortspiele zu machen.“

(Ann Faraday, Deine Träume)



Freie Assoziation und freischwebende Aufmerksamkeit

Um seine Träume besser verstehen zu können, entwickelte Sigmund Freud die Technik der freien Assoziation. Er schrieb seine Träume auf und stellte spielerisch Verknüpfungen und Zusammenhänge her, während er dabei versuchte, den Prozess zu beobachten, ohne zu ihn werten. Dies nannte er „freischwebende Aufmerksamkeit“.

Träume arbeiten mit Assoziationen, die unbewusst ablaufen. Wenn wir bei Bewusstsein dem intuitiv eingeschlagenen Pfad folgen, merken wir meist recht schnell, was der Traum uns sagen möchte. Wir sind ihm auf der Spur, indem wir spüren.


Kreativität

Unser Wort „kreativ“ kommt von lateinisch „creare“, was sowohl „(er)schaffen“ als auch „wählen“ heißt. Um schöpferisch sein zu können, braucht es einen Fundus, aus dem geschöpft werden kann. Unseren Träumen steht ein riesiger Speicher meist unbewusster Erinnerungen zur Verfügung, aus dem erstaunlich zielgerichtet gewählt wird.

Dabei wird mit kindlicher Hingabe gespielt: werden Dinge verknüpft, die bisher nichts miteinander zu tun hatten, entsteht etwas Neues. Träume können so Situationen simulieren, die dem / der Träumenden neue Erkenntnisse verschaffen. Weil es im Traum keine Grenzen gibt, kann „Das wilde Denken“ (Claude Lévi-Strauss) den Horizont erweitern.

Träume sind kreatürliche Prozesse: wir sind kreativ, weil wir Kreaturen sind.  Wir sind schöpferische Geschöpfe. Dem Leben liegt Kreativität zugrunde. Vor etwa 13,8 Milliarden Jahren hat sich der Kosmos geschaffen. Was war davor? Was ist dieses Schöpferische? 

Tao

„Das Tao wird (…) als vor der Erschaffung des Universums existierend beschrieben, als unveränderliches Ordnungsprinzip, Urgrund des Seins, eine absolute und alles durchdringende Kraft.“ (Spektrum hier )

Kosmos

„Das kosmische Hintergrundrauschen (…) wird auch aus solchen Himmelsrichtungen empfangen, an denen sich keine bekannten kosmischen Objekte befinden. Es befindet sich also überall und kommt aus allen Richtungen. Nach heutigen Modellvorstellungen ist dieses Rauschen ein Überbleibsel des kosmischen Urknalls.“ (Wikipedia hier )

Traumzeit

„Die Traumzeit-Legenden handeln von der universellen, raum- und zeitlosen Welt, aus der die reale Gegenwart in einem unablässigen Schöpfungsprozess hervorgeht, um ihrerseits wiederum die Traumzeit mit neuen geschichtlichen Vorgängen zu „füllen“. Dieses allumfassende spirituelle Gewebe erklärt somit, wie alles entstanden ist. (…)

Für die Aborigines handelt es sich bei der Traumzeit um die „spirituelle, natürliche und moralische Ordnung des Kosmos“, und Träumen bedeutet in diesem Zusammenhang die kollektive Fähigkeit, die Welt und ihre Zusammenhänge richtig zu verstehen und zu nutzen (…). Dies kann durchaus auch mit dem normalen, individuellen Träumen in Verbindung gebracht werden.“ (Wikipedia hier )


Libretto

Credits

Text und Musik  © 2021 Simon Weiland, außer:

Schlaf, Kindlein, schlaf
(Text: Johann Friedrich Schütze / Melodie: Johann Friedrich Reinhardt)
Weißt du wie viel Sternlein stehen
(Text: Wilhelm Hey / Melodie: Volksweise)
Stille Nacht, heilige Nacht
(Text: Joseph Mohr / Melodie: Franz Xaver Gruber)

Uraufführung: 17.09.21, K9 Konstanz

Bildnachweise:
Pegasus: pinterest,  Spirale: clipart-library, Aborigine: aboriginal-art

Literatur:
Faraday, Ann: Deine Träume. Schlüssel zur Selbsterkenntnis
Fromm, Erich: Märchen, Mythen, Träume. Eine Einführung in eine vergessene Sprache
Klein, Stefan: Träume. Eine Reise in die innere Wirklichkeit
Lawlor, Robert: Am Anfang war der Traum. Die Kulturgeschichte der Aborigines

Dank an meine Frau Susan Gönner
Gewidmet meinem Vater Mato Weiland

Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Konstanz