Märchen sind uralte Geschichten, die über Jahrtausende hinweg mündlich weitergegeben wurden. Erst vor zweihundert Jahren wurden sie durch Sammler wie die Brüder Grimm schriftlich fixiert und bearbeitet. Märchen gibt es auf der ganzen Welt durch alle Kulturen und Zeiten. Dieses immaterielle Erbe der Menschheit ist ein kostbarer Schatz.
Im Märchen ist der Geist frei: Tiere können sprechen, Menschen können fliegen oder sich woanders hinbeamen und Verwandlungen sind an der Tagesordnung. Es erinnert an schamanische Geistreisen in den Naturreligionen (ebenfalls in prähistorischer Zeit auf der ganzen Welt verbreitet). Doch auch wir kennen das – aus unseren Träumen! In Traum und Märchen lebt das Geist- und Naturempfinden früherer Zeiten fort. Kinder sind damit vertraut und auch dem modernen Menschen kann das eine große Hilfe sein.
Denn Märchen sind erstaunlich lebensbejahend. Ich persönlich glaube, dass es kaum eine bessere Lebensschule gibt. Märchen sind lebensnah. Sie bringen Probleme und Leid klar und emotional zur Sprache, aber die Protagonisten verlieren nie den Mut. Und sie lassen sich helfen! Von Tieren, weisen Frauen, Zwergen, den Sternen… Das ist irrational und unlogisch. Doch wer sagt, dass nur die herkömmliche Logik Sinn ergibt? Im Märchen führt das scheinbar Irrationale und nicht Verstehbare zum Happy End. Kann man daraus etwas für das „richtige Leben“ lernen?
Märchen haben wie Träume ihre eigene innere Logik: eine Symbolsprache. In meinen Performances versuche ich, diese Sprache verstehbar zu machen. Hierzu Erich Fromm:
„Die Symbolsprache ist eine Sprache, in der innere Erfahrungen, Gefühle und Gedanken so ausgedrückt werden, als ob es sich um sinnliche Wahrnehmungen, um Ereignisse in der Außenwelt handelte. Es ist eine Sprache, die eine andere Logik hat als unsere Alltagssprache, die wir tagsüber sprechen. Die Symbolsprache hat eine Logik, in der nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern Intensität und Assoziation. Es ist die einzige universale Sprache, welche die Menschheit je entwickelt hat und die für alle Kulturen im Verlauf der Geschichte die gleiche ist. Es ist eine Sprache sozusagen mit eigener Grammatik und Syntax, eine Sprache, die man verstehen muss, wenn man die Bedeutung von Mythen, Märchen und Träumen verstehen will. Aber der moderne Mensch hat diese Sprache vergessen, nicht wenn er schläft, aber wenn er wach ist.“
Hier ein sehr schöner Bericht über meine Arbeit mit Märchen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/der-etwas-andere-maerchenonkel-4164
Literatur:
Fromm, Erich: Märchen, Mythen, Träume. Eine Einführung in das Verständnis einer vergessenen Sprache.
Seghezzi, Ursula: Im Land der Seele.